Montag, 05.03.2018. Wir arbeiten uns langsam vorwärts, dem Hund scheinen wir ziemlich egal zu sein. Der Rucksack drückt mit seinem vollen Gewicht auf meine Schultern, der Hüftgurt baumelt lose vor sich hin. Der Sohn des Besitzers (?) kann uns nicht weiterhelfen, denn er versteht kein Englisch. Als wir auf dem Weg zur Rezeption den Garten betreten, vergesse ich kurz die Odyssee, die hinter uns liegt. Bunte Blüten strahlen mir aus grünen Sträuchern entgegen, die den kleinen Pfad aus Steinplatten säumen. Auf der Rasenfläche stehen gepolsterte Gartenstühle und – mein Herz macht einen kleinen Sprung – zwei Schaukeln mit großer Liegefläche. Dazu kommt neben ein paar Vogelrufen und Ziegengemecker – nichts. Stille. Die Ruhe steckt mich an und legt sich wie Balsam auf meine Seele. Danke, endlich.
Als ich schließlich in kurzer Hose und T-Shirt im Schneidersitz (höhö) auf der freischwingenden Liege sitze, bin ich glücklich. Der Himmel lächelt blau, die Wärme der Sonne wandert über meine Haut und es fühlt sich surreal an, dass das hier immer noch Nepal ist. Diese Gegensätzlichkeit zu Kathmandu ist extrem, das Land so divers. Eine Woche ist es her, dass wir in diesem wundervollen Binnenstaat aus dem Flieger gestiegen sind und es kommt mir vor wie eine Ewigkeit. So viele Eindrücke. So viele Menschen und Erinnerungen. Schon jetzt. Ich müsste die Zeit anhalten, um alles sacken zu lassen und darauf zu warten, dass mein Verstand tatsächlich begreift, was er erlebt. Aber einen Pause-Knopf gibt es nicht. Und darüber bin ich froh. Die Momente, die mich zum Staunen und Innehalten bringen bleiben so vergänglich, was sie einzigartig und kostbar macht. Ich lehne mich zurück, schließe die Augen und vergesse ein bisschen die Zeit.
Nach Stunden des Nichtstuns machen wir uns abends auf den Weg in die ‚Stadt‘. Aus dem Hof heraus und nach links. Rechts geht es ins Dorf, das wir uns lieber morgen bei Tageslicht ansehen möchten. Ich laufe keine zwanzig Schritte und sprudel fast über vor Freude, als ich den Elefanten in seinem Unterstand sehe. Ich bin ganz aufgeregt. Nach fünf Jahren kann ich eines dieser gutmütigen Tiere wieder aus unmittelbarer Nähe beobachten. Ich würde auf keinem dieser grauen Riesen mehr reiten, aber Anfassen wäre der Wahnsinn! Ich kann nur schlecht einfach auf das Gelände rennen. Fragen kann ich auch niemanden, denn hier ist kein Mensch. Außer unser Bodyguard-Hund, der anscheinend beschlossen hat uns zu begleiten. In der Hoffnung, dass es nicht der letzte Elefant gewesen ist, der mir begegnet, wollen wir unseren Weg in die Stadt fortsetzen – um gleich darauf von zwei Mahuts auf ihren Tieren überholt zu werden. Oh maaaaaaaan, Elefanten-Rushour! Ich krieg das Grinsen nicht aus dem Gesicht. Die Männer grüßen und ich bin neidisch. Aber auch ein bisschen ehrfürchtig als ich ihnen langsam hinterhertrotte.
Sauraha besteht aus einer größeren Ansammlung von Häusern und kleinen, einfachen Gassen. Die Hauptstraße, ein geteerter Streifen, zieht sich bis zum Fluss, der gleichzeitig die natürliche Grenze zum Nationalpark bildet. Ein paar kleine Souvenirgeschäfte haben geöffnet, daneben Restaurants und verstreute Minimärkte mit gestapelten Wasserflaschen, Chips, den nötigsten Lebensmitteln. Bis auf die Autos und Motorroller, die sich ihren Weg bahnen, ist es ruhig. Kein dichtes Gedränge, kein non-stop-Gehupe, eine überschaubare Anzahl an Menschen auf den Straßen. Wir laufen bis zum Fluss, dürfen den privaten Zugang eines Restaurants nutzen. Der von einem Holzzaun eingefasste Weg wird von Lampen beleuchtet, die die Umgebung in warmes Licht tauchen. Rechts und links wachsen grüne Pflanzen in die Höhe. Am Ende kann ich bereits das Wasser erkennen. Die Luft schwirrt von kleinen Mücken und Fliegen. Als wir ankommen verschwinden gerade die letzten Sonnenstrahlen in blassem Rosa und Orange hinter den schwarzen Baumkronen der anderen Uferseite. Sie machen Platz für ein gedämpftes, schweres Dunkelblau, mit dem sich schließlich die Nacht auf die Landschaft legt. Morgen, nehmen wir uns vor, wollen wir das Schauspiel entspannt mit einem kühlen Getränk in der Hand beobachten.
Mithilfe unseres Handylichts (die Taschenlampe liegt immerhin unbenutzt im Backpack) leuchten wir uns den abenteuerlichen Weg zurück zum Bungalow. Konzentriert setzen wir einen Fuß vor den nächsten, um weder in Elefantenmist zu treten, noch in Schlaglöchern umzuknicken oder von einem heranbrausenden Roller aufgegabelt zu werden. Die Anlage liegt etwas außerhalb am Feld, was uns die Gelegenheit bietet, während unseres kleinen Spaziergangs in das ein oder andere Wohnzimmer zu spähen, die scheinbar gleich an die Straße grenzen. Männer sitzen zusammen, hören Musik, der Fernseher läuft, der Nachwuchs springt vor den Häusern umher, woanders wird gegessen. Uns begleiten interessierte Blicke und der ein oder andere Hello-Ruf, ohne, dass es unangenehm wäre. Wir grüßen und leuchten fröhlich weiter unseres Weges. Das neugierige Kind in mir würde sich gern dazu setzen, Fragen stellen, sich mit Händen und Füßen verständigen und Geschichten daraus basteln. Die Momente mit der Kamera einfangen. Wahrscheinlich würde ich sogar herzlich in die Runde aufgenommen. Letztlich verliert jedoch die Neugierde gegen die Zurückhaltung.
Zufrieden und müde krieche ich eine halbe Stunde später unter die Bettdecke. Im Hintergrund gibt die Ziege noch einmal alles und röhrt aus vollem Hals ihr Gute-Nacht-Lied. Im Vergleich zu den Nächten vorher ist es dennoch gespenstisch still. Die Rufe der Rikscha-Fahrer fehlen, das Dröhnen der Motoren, das Beben der Fenster, der Atem der Stadt.
Dienstag, 06.03.2018. Wie könnte ein Tag mit Banana Pancakes nicht gut starten? Glückselig nippe ich an meinem Cappuccino, sehe gedankenverloren aus dem Fenster und schaue reflexartig direkt noch einmal hin. Da wackelt schon wieder ein Elefant gemächlich die Straße entlang! Ich begreife immer noch nicht, dass die Tiere durch die Safaritouren hier zum Alltag gehören. Ohne Sattel wären sie mir lieber. Ein Elefant sollte nicht dazu benutzt werden, dass Touris sich auf ihm den Arsch plattsitzen. Gleichzeitig sichert ebendieser Dienst seinem Mahut das Einkommen. Schwieriges Thema. Und ich hocke hier in dem kleinen Café, lasse mir mein Frühstück schmecken und gaffe aus dem Fenster. Für mich ist alles ein Abenteuer, für die Menschen Leben. Auf unserem Weg hierher konnten wir die Hütten der Anwohner aus Lehm und Stöcken bei Tageslicht sehen, die angrenzenden Gemüseparzellen, gestapeltes Holz und Leinensäcke, die gespannten Wäscheleinen und Wellblechdächer. Und trotz dieser Umstände herrscht eine freundliche, ausgeglichene Atmosphäre. Ein vollkommen anderer Takt, der einem selbst die Geschwindigkeit nimmt. Die Menschen freuen sich über den Tourismus. Komme ich mir manchmal wie ein Eindringling vor, betrachten wir uns insgeheim wahrscheinlich mit der gleichen Neugierde. Das wird mir vor allem dann bewusst, wenn ich um Bilder gebeten werde. Das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Kulturkreise ist unglaublich spannend. Umso surrealer ist es, selbst Teil davon zu sein.
Manchmal frage ich mich, ob meine Interpretation der Realität einfach nur eine andere ist. Meine Vorstellung von Standard und Notwendigkeit als augenscheinlich integraler Bestandteil von Zufriedenheit genau das ist – meine subjektive Betrachtungsweise. Und die Menschen, die mich hier umgeben, ganz anders über ihr Leben denken. Sie wirken ausgeglichen, haben Zeit für Gespräche über die Straße hinweg, sitzen zusammen, lachen. Wahrscheinlich ist es nicht immer einfach. Hinter einer Maske lässt sich viel verbergen. Aber ich glaube, dass sie unabhängig ihrer materiellen Mittel, sehr reich sind. Sie scheinen irgendetwas in sich zu tragen, dem wir Europäer hinterherjagen und es doch nicht zu fassen bekommen.
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