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Into the wild

Oder auch: Safari-Laura

Dienstag, 06.03.2018. Wir zahlen unser Frühstück und machen uns auf den Rückweg zur Unterkunft. Heute ist Jeep-Safari-Tag und ich bin gespannt, ob uns überhaupt ein Tier begegnen wird. Nashörner und Krokodile habe ich hier nicht wirklich erwartet, aber es soll sie geben. In Nepal. Verrückte Welt, aber ich befinde mich gerade ja auch in subtropischen Gefilden. Naiv, mit diesem Land nur die Spitzen des Himalayas in Verbindung zu bringen. Reisen bildet, hier ist der Beweis.

Unser Host hat schonmal den Geländewagen angeschmissen. Nach ein paar Fehlzündungen steht er knatternd vor uns (der Jeep, nicht der Host) und wir schwingen uns auf die erhöhte Rückbank. Ein anderer Gast springt von seinem Essen auf, sprintet zum Bungalow und setzt sich schließlich leicht außer Atem auf den Platz vor uns. Akila kommt aus Sri Lanka und macht für ein paar Tage Urlaub in Nepal. Ein ruhiger Typ, den wir im Laufe des Tages ins Herz schließen. Wir fahren dieselbe Strecke, die wir am Abend zuvor in Richtung Fluss gelaufen sind, der Wind weht uns die Haare ins Gesicht und mein Steißbein freut sich über jede Bodenwelle der unbefestigten Straße. Gemeinsam mit zahlreichen anderen Touris warten wir schließlich am Fluss darauf, Richtung Chitwan Nationalpark überzusetzen. Olympus um den Hals, Kappe aufn Kopp – Safari-Laura ist am Start.

Die ausgehöhlten Baumstämme, die uns an die andere Uferseite bringen, schwanken bedrohlich, als sich unsere Gruppe einer nach dem anderen auf die schmalen Sitzflächen sinken lässt. Ich bete, dass die Chinesin vor mir irgendwann aufhört zu schreien, weil ich bei dem Geschaukel sowieso schon genügend Angst um meine Kamera habe. Die Wasseroberfläche blitzt mir in bedrohlicher Bootsrandnähe entgegen und kreischende Frauen tragen nicht maßgeblich zur Entspannung der Situation bei. Gerade, als ich anfange die Überfahrt lustig zu finden, erreichen wir unser Ziel. Fix das erste freilaufende Schwein begrüßt und in den Jeep gehüpft, geht’s auch schon los.

Während wir uns mit dem Fahrzeug durch das Unterholz vorwärts bewegen und die Äste unter den Reifen knacken, kann ich mir kaum vorstellen, dass ein wildes Tier den Drang verspürt nachzuschauen, wer für die Geräuschkulisse verantwortlich ist. Ich schaue konzentriert in die Baumkronen, damit mir keine Bewegung entgeht und muss feststellen, dass ich nicht wirklich in der Lage dazu bin, irgendwelche Lebewesen zu erkennen, die sich durchs Blattwerk schwingen. Was – zu meiner Beruhigung – hauptsächlich daran liegt, dass erstmal keine da sind. Die ersten Rehe sorgen schließlich für Freude, den Affen sehe ich nicht. Die Bäume sind hoch gewachsen, die Äste winden sich auf der Suche nach Licht und mit ein bisschen Phantasie könnten wir auch gerade in einem mitteleuropäischen Mischwald unterwegs sein. Der Eindruck ändert sich, als wir ins Freie fahren und auf eine dichte Graslandschaft stoßen. Beißender Rauch liegt in der Luft. Die trockenen Pflanzen werden abgebrannt, um Platz und frische Erde für neues Wachstum zu schaffen. Ich halte die Augen offen, um auch ja kein Tier zu übersehen, als unser Guide mit einem kleinen Stein zweimal auf das Metallgeländer des Jeeps klopft. Das Signal für den Fahrer anzuhalten. Der Motor erstirbt und plötzlich ist es leise. Im hohen Elefantengras versteckt, mit dem bloßen Auge kaum zu erkennen, verbirgt sich tatsächlich ein grauer Fels, der sich durch den Zoom meines Objektivs als Panzernashorn entpuppt. Zwischen den trockenen, hohen brauen Halmen fällt es kaum auf. Vor allem dann nicht, wenn man nicht gerade mit Adleraugen wie der Kerl in der Reihe vor mir gesegnet ist. Wo sein Affe in den Baumwipfeln gesessen hat, weiß ich bis heute nicht. Ein weiteres Klacken des Steins und der Jeep setzt sich wieder in Bewegung – um nur wenige Augenblicke später erneut langsamer zu werden.

Wir sind auf Spuren im Sand gestoßen, die einen Besucher ankündigen, der sich im Verborgenen hält. Die Tatzenabdrücke könnten die einer Katze sein, wären sie nicht wesentlich größer. Sie ziehen sich ein Stück am Wegesrand entlang, bevor sie im dichten Gras verschwinden. Ich schaue mich prüfend um und versuche herauszufinden, ob ich gerne einen bengalischen Tiger aus nächster Nähe sehen würde. Wenn er sich nicht gerade von hinten anschleicht – wir sitzen in der letzten Reihe – wäre das eine ziemlich aufregende Sache. Obwohl es der Park geschafft hat, innerhalb von zehn Jahren den ursprünglichen Bestand von 25 auf 100 Tiere zu erhöhen, ist eine Begegnung mit den Raubkatzen eine extreme Seltenheit. Bei über 2000km² Grundfläche der Tiger Conservation Unit Chitwan und den höchsten Gräsern der Welt kaum verwunderlich. Selbst das Fernglas unseres Guides kann keinen umherstreifenden Tiger ausmachen. Wir halten die Luft an und bewegen uns nur langsam. Aber auch nach ein paar Minuten deutet nichts auf seine Anwesenheit hin. Shir Khan scheint weitergezogen zu sein und seine Spuren sind längst nicht mehr frisch. Ich werde das Gefühl, dass wir nicht alleine sind, trotzdem nicht los. Klack. Und wir fahren weiter.

In der Ebene leuchten die roten Blüten der Rhododendronbäume, die hier bis zu 20m hoch in den Himmel wachsen und seit 1962 als Nationalblume Nepals gelten. Im gedämpften Ockerbraun und matten Grün der offenen Graslandschaft wirken die Farbtupfen wie kleine lebendige Punkte auf einer Leinwand. Wir halten an einem Wasserloch, das hinter den dichten Sträuchern und Halmen beinahe verschwindet. In dem dunklen Gewässer bestens getarnt hat ein weiteres Nashorn vor der Nachmittagshitze Schutz gesucht. Eine kleine Insel, von der nur das obere Viertel aus dem Tümpel ragt. Allem voran das spitze Horn wie ein Fahnenmast. Würde ich näher dranstehen, sähe das alles schon gar nicht mehr so winzig aus. In Anbetracht dessen, dass es hier um die 19 Schlangenarten geben soll – darunter die giftige Königskobra – erheitert mich die Vorstellung durch die Graslandschaft zu streifen nicht wirklich. Daher begnüge ich mich gerne mit einem Miniaturnashorn aus der Ferne.

Ein paar hundert Meter flussabwärts sonnen sich zwei Krokodile auf einer Uferbank. In einem Abstand, der mir als Vogel definitiv zu gering wäre, entspannen sich mindestens zwanzig Enten am Wasserrand. Naja, hier gibt es ja genügend davon. Auf einer Fläche von knapp 1000km² haben beinahe 700 Tierarten ein Zuhause gefunden – dabei ist der Bestand bislang noch nicht bis zur letzten Ameise kategorisiert worden.

In einem der angrenzenden Bäume funkelt das smaragdgrüne Federkleid eines Pfaus in der Sonne. Es ist surreal die Lebewesen in freier Natur beobachten zu können, die im Zoo durch Gitterstäbe voneinander getrennt sind. Während mir der Fahrtwind durch das Gesicht streift versuche ich mir vorzustellen, wie es wohl ist hier als Ranger zu arbeiten. Jeden Tag draußen zu sein und einen eigenen Beitrag zu leisten, um die Artenvielfalt der Welt zu erhalten. Tiere zu beobachten, die längst auf der Roten Liste stehen und das alles in einem Naturschutzgebiet, das sich seit 1984 zum UNESCO Weltnaturerbe zählen darf. Vielleicht sogar den einen oder anderen Touristen zum Nachdenken anzuregen und aufmerksam zu machen auf die Facetten der Schönheit unserer Welt, die es zu bewahren gilt, bevor das, was wir gerade noch erleben dürfen, verschwindet. Dieses Wissen zu teilen und einzigartige Erinnerungen schenken zu können, muss besonders sein. Jetzt wäre ich gerne Ranger. Adler, Leoparden, Bären und Nebelparder sehen. Languren und Hyänen. Einen bengalischen Tiger. Aber ich weiß, dass ich an manchen Tagen einfach keine Menschen leiden kann. Das ist bei der Arbeit mit Touristen generell eher schlecht. Dann lasse ich mich doch lieber auf meinem Platz in der letzten Reihe durchschütteln, blinzle der Sonne entgegen und tauche in meine eigene Welt ab, in der ich mich nicht unterhalten muss, sondern einfach nur den Moment genießen kann.

Nach ein paar weiteren Vogelsichtungen, die meinen Puls eher nicht in die Höhe schnellen lassen, fahren wir zunächst über eine holprige kleine Brücke und schließlich durch eine Flusssenke zurück in den Dschungel. Wir machen Halt an einer Aufzuchtstation für Krokodile, die zugegebenermaßen in deprimierenden Käfiganlagen um kleine Wasserlöcher herumliegen. Teilweise aufeinander, teilweise nebeneinander, mit offenen Mäulern, dem ein oder anderen fehlt ein Teil der Schnauze. Die Touristen schieben sich Schritt für Schritt an den Metallstäben entlang. Gangesgaviale, die nur noch in Nepal und Nordindien vorkommen, stehen auf der Roten Liste gefährdeter Arten, was diese Einrichtung zu einer ausgesprochen guten Sache macht. Dem typischen Bild der gaffenden Menschen und trostlosen Gehege kann ich allerdings nicht wirklich etwas abgewinnen. Als wir die drei „Amerikaner“ wiedertreffen, die gestern schon mit uns im Bus gesessen haben, muss ich kurz lachen. Da stehen sie in ihren Schlapphüten und Trekkingsandalen und beäugen die langen superdünnen Schnauzen der Urzeitgeschöpfe mit Überbiss. Man sieht sich eben doch immer zweimal.

Als wir wieder in den Jeep einsteigen, steht die Sonne bereits tiefer am Horizont. Mittlerweile sind wir einige Stunden unterwegs. Das Fahrzeug hinter uns wirbelt die trockene Erde der unbefestigten Fahrbahn auf. Der Staub leuchtet hell in der Luft, als die Sonnenstrahlen durch das Blattwerk fallen und lässt den Geländewagen hinter einer Wand aus milchigem Licht verblassen. Als sich die Baumreihen öffnen haben wir einen freien Blick auf den blaugrauen Fluss, der sich neben uns durch die Landschaft zieht. Ein abgeknickter Ast ragt weit ins Wasser, das gegenüberliegende Ufer wird von einem hellen Band aus niedrigem Gras gesäumt, das in große braune Halme, niedrige trockene Büsche und die grünen Schattierungen der Laubbäume übergeht. Ein lautes Knacken lässt uns aufhorchen. Der Jeep bremst ab und Stille legt sich über die Landschaft. Ein Rascheln und mein Blick huscht über die nahegelegenen Pflanzen. Ich weiß nicht nach was wir suchen, aber niemand traut sich laut zu atmen. Als einer nach dem anderen aufsteht und sich umsieht, hält es auch mich nicht mehr auf meinem Sitz. „What are we supposed to see?“, wispere ich Mr. Adlerauge zu, der nur grinst und auch keine Ahnung hat. Mein Gesicht klebt vor Staub und Sonnencreme (50+ ist verdammt hartnäckig), meine Hände sind dreckig, aber wenn ich gleich tatsächlich meinem ersten bengalischen Tiger in freier Wildbahn begegnen sollte, bin ich bereit. Ich hoffe er ist es nicht. Die nächsten drei Minuten ziehen sich in die Länge. Dann höre ich ein lautes, metallisches Klicken. Der Stein.. Wir fahren weiter. Ein Raunen geht durch die Gruppe, wir müssen lachen, weil vor Spannung für einen Moment die Zeit stehen geblieben ist. Auch das gehört dazu. Man kann nicht immer Glück haben.

Da gerade nichts passiert, machen wir ein paar dämliche Selfies. Ohne Akilas Warnung und seinen ruckartig erhobenen Arm hätten wir noch einen Schnappschuss mit Ast im Gesicht. Schließlich beobachten wir doch noch ein paar Minischweine, die kleine Staubwolken hinter sich herziehen, während sie durchs Unterholz flitzen und lachen über Rehe mit monströsen Augenbrauen, die leider aufschrecken und zwischen den Bäumen verschwinden, als Motorengeräusche den nächsten herannahenden Jeep ankündigen. Eines davon taufen wir Ingo. Das Porträtfoto von Ingo erheitert uns noch heute.

Der Rückweg entlang der Grasebene beschert uns dann tatsächlich noch das Glück einen Pfau während der Balz zu beobachten. Er schlägt ein großes Rad, das die schimmernden Augen seines Federkleides im Licht tanzen lässt. Der Wagen vor uns ist bereits weitergefahren, als es zum großen Showdown kommt und versucht sich nun im Rückwärtsgang langsam zurück zu manövrieren. Tja, da ist der Pfau auch schon um die nächste Ecke gewackelt und verschwunden.

Von der ganzen frischen Luft und den warmen Sonnenstrahlen fallen mir fast die Augen zu. Ich lasse mich auf die Bank zurücksinken und sehe dem Lichtschauspiel zu, als wir uns weiter Richtung Ausgang aufmachen. Die Sonne steht mittlerweile so tief, dass sie die Landschaft in ein warmes Orangerot taucht und das Elefantengras zum Leuchten bringt. Die blühenden Rhododendronbäume entlang der Wege wirken beinahe wie kleine Oasen zwischen den ausgedorrten Pflanzen. Als der Wind durch den Geländewagen streicht und ich mich Richtung Sonnenuntergang drehe, strahlt der Nationalpark nur für uns. Ich versuche den Moment in mein Gedächtnis zu brennen, als es zurück in den Dschungel geht und die Graslandschaft hinter uns langsam kleiner wird. Ich glaube meine Seele lächelt, während ich mich festhalte und der Jeep schaukelnd vorwärts rollt.

Mit dem plötzlichen Stopp, der kurz darauf folgt, rechne ich schon gar nicht mehr. Für den dreißigsten Vogel oder das achte Schwein ist die Aufregung im Wagen zu groß. Es dauert kurz, bis die Info in die letzte Reihe durchdringt. Die Ersten stehen schon auf ihren Sitzen. Nur wenige Meter abseits des Pfads inmitten einer kleinen Lichtung bahnt sich ein schwarzer Lippenbär den Weg durch die Sträucher. Er schaut kurz in unsere Richtung, ignoriert das Fahrzeug  voller Gaffer und beginnt zu graben. Die braune Erde fliegt zur Seite, während er mit seinen Tatzen beharrlich im Boden scharrt. Wie faszinierend es sein kann live in eine Tierdokumentation hineinkatapultiert zu werden. ‚Bär gräbt Loch‘ wäre wohl kaum eine Schlagzeile gewesen, die meine Aufmerksamkeit erregt hätte. Aber einen Steinwurf entfernt in einem offenen Fahrzeug zu sitzen und Zeuge dieser Szene zu werden, macht mich plötzlich wieder wach. Es ist verrückt. Es gibt Bären in freier Wildbahn. Ohne Zäune. Ohne Fütterung. Und der Bär tut einfach, was ein Bär tun muss. Löcher graben zum Beispiel. Und ich freue mich gerade so sehr für ihn, dass er sich einfach umdrehen kann, als er keinen Bock mehr hat und ohne einen Laut zwischen den Bäumen verschwindet. So plötzlich wie er aufgetaucht ist. Keine Sicherheitsglasscheibe, die ihn daran hindert. Danke Natur für diese schöne Begegnung.

Als ich das Strahlen in den Gesichtern der anderen sehe weiß ich, dass wir zum Abschluss auch zeitgleich das Highlight unserer Tour geschenkt bekommen haben.

2 Kommentare

  1. Echt ein toller Bericht, ich hatte den Eindruck ich bin mit dir im Jeep 😀. Wart ihr im Mai dort? Ich möchte unbedingt die pfau balz sehen und überlege, wann das am besten wäre… viele Grüße aus Kathmandu, Eva

    • Laura Laura

      Hallo Eva, ich habe seit Ewigkeiten leider nicht mehr hier reingeschaut – und gerade erst deinen Kommentar entdeckt. Vielen lieben Dank! Hast du die Pfau Balz sehen können und wie hat dir Kathmandu gefallen? 😊

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