Mittwoch, 28.02.2018. Ich bin auf keinem einzigen Festival of Colours gewesen und hatte auch nie das Bedürfnis zwischen schwitzenden Körpern Chemie einzuatmen. Es ist purer Zufall, dass ich plötzlich inmitten von Farbexplosionen, Wasserfontänen und dröhnender Musik das indische Frühlingsfest in Kathmandu feiere und dabei „Happy Holi“ schreie.
Hätte sich unser Hotelmanager nicht nach unserem Tag erkundigt und beiläufig erwähnt, dass schon am kommenden Morgen das Holi-Fest stattfinden würde, wir wären völligst unvorbereitet vor die Tür getreten und gleich in die erste Wolke aus blauem Pulver gelaufen. Also schleppen wir uns nach seiner Offenbarung noch einmal durch die abendlichen Straßen Thamels, betreten Laden für Laden und verhandeln um Hose und Shirt, mit denen wir uns am nächsten Tag ohne Skrupel ins Getümmel stürzen können. Meine Erwartungen kann ich kaum definieren, ich hatte ja nicht einmal geplant zu diesem Zeitpunkt hier zu sein. Immerhin besitze ich jetzt ein Oberteil mit Nepal-Aufdruck, das mir zwar gefällt, aber auch endgültig den Touristenstempel aufdrückt. Ich entschuldige mich innerlich bei jedem Nepali und hoffe, dass die Menschen lieber standardmäßig auf meine hellen Haare starren. Ein blondes Weißbrot mit Printshirt. Herzlichen Glückwunsch. Ich fühle mich bereit für ein bisschen Farbe.
Donnerstag, 01.03.2018. Irgendwann zwischen Kartoffeln, Gemüse, Müsli und Joghurt fragt ein Hotelangestellter am nächsten Morgen, ob er uns rote Farbe ins Gesicht malen dürfe. So kommen wir zu unseren ersten bunten Strichen auf Stirn, Nase, Wangen und Kinn, auf die wir jetzt schon mächtig stolz sind. Happy Holi. Zu diesem Zeitpunkt wussten wir nicht, wo das bunte Pulver über den Tag hinweg noch überall landen würde. Beseelt schwingen wir uns die Turnbeutel auf den Rücken und wagen uns hinaus zu den Feiernden, deren Rufe und Gesänge bereits seit geraumer Zeit unser Hotelfenster erreichen. Die ersten Meter ist noch unklar wie sich dieser Tag gestalten wird. Ob wir uns verlaufen, ob es schlau ist Thamel zu verlassen und ob wir überhaupt wissen, wohin uns unsere Füße tragen werden. Dann kommen die ersten Farben. Grün und Pink landen in unseren Gesichtern, begleitet von fröhlichen „Happy Holi“-Rufen. Die Freude steckt an. Wir lernen, rechtzeitig den Mund zuzumachen, als uns der nächste Schwall des bunten Pulvers erwischt. Die Farben werden in kleinen Plastikbeutelchen am Straßenrand verkauft. Das ganze Viertel leuchtet.
Nepali und Touristen feiern gemeinsam das Frühlingsfest der Hindus, das Erblühen der Natur und gleichzeitig den Sieg des Guten über das Böse. Versöhnung spielt eine große Rolle, alte Streitigkeiten werden beigelegt, häufig Alkohol oder andere Rauschmittel konsumiert. Schon Krishna, der Gott der allumfassenden Liebe soll das Fest der Farben begangen haben. So ist auch seine Liebe zu den Menschen ein Aspekt der Feierlichkeit. Wir baden in der Euphorie, die ganze Stadt scheint auf den Beinen zu sein.
Niemand weiß aus welcher Ecke die nächste Wasserbombe geflogen kommt. Gerade noch rechtzeitig springe ich zur Seite, als aus dem dritten Stock der nasse Inhalt eines ganzen Eimers gekippt wird. Wir können nicht aufhören zu lachen, vergessen selbst Farbe zu kaufen, haben irgendwann so viel Pulver an den Handinnenflächen, dass wir es gar nicht mehr müssen. Ich laufe in der Straßenmitte, verrenke den Kopf, in der Hoffnung, dass ich das Wasser rechtzeitig kommen sehe. Irgendwann erwischt es Jule mitten im Spießrutenlauf zwischen den Fenstern zu ihrer Rechten und Linken. Die Farben verlaufen und vermischen sich zu einer großen, bunten Fläche. In der staubigen Luft scheint die Nässe nach dem ersten Schreck keine wirkliche Bestrafung zu sein.
Wir tanzen inmitten von ausgelassenen Menschen, der ganze Platz bebt, die Musik dröhnt aus den riesigen Boxen neben der kleinen Bühne. Wir werden um Selfies gebeten, während aus Wasserschläuchen ein feiner, frischer Nebel auf die Menge herabregnet. Um die Stromleitungen, die in dicken Bündeln über den Straßen hängen, macht sich niemand Gedanken. Ich schaue fasziniert zu, wie eine Nepali ihren kompletten Körper ekstatisch zur Musik bewegt und frage mich, ob hier nicht doch das ein oder andere Genussmittel zum Einsatz gekommen ist. Ein Grinsen in die nächste Kamera, Happi Holy-Rufe vor uns, hinter uns, neben uns. Menschen schieben sich vorbei, verteilen pinke, grüne, blaue, orangene Pulver auf Haut, Haaren und Kleidung. Der Körper ist eine Leinwand, jede Farbe fügt eine neue Facette hinzu. Es entstehen Bilder, Muster. Schicht um Schicht landet auf uns Feiernden und jede erzählt eine eigene Geschichte. Die der Gruppe Jungs, die übermütig jeden Quadratzentimeter des Kopfes zupudern, den sie erwischen. Die der chinesischen Touristinnen, die kichernd die Wangen mit einem Rotton bestreichen. Die Europäer, die genauso wenig glauben können, was sie gerade miterleben. Wir tauchen ab in ein Meer aus Farben, saugen die Eindrücke auf und lassen uns vom Rhythmus der Stadt treiben. An diesem Tag mag ich sogar Gelb.
Irgendwann gehe ich dazu über, die Hände vors Gesicht zu halten, sobald die nächste Gruppe aufgedrehter Jungs auf uns zusteuert. Noch mehr buntes Pulver in meiner Nase und mein Gehirn leuchtet in allen Regenbogenfarben. Wir verlieren unser Zeitgefühl, wissen nicht, wie lange wir schon unterwegs sind und wie wenig Wasser wir getrunken haben. Unter der Farbe brennt das Gesicht vor Hitze. Dass wir mittendrin gewesen sind, sehen vor allem die Menschen, denen wir entgegen laufen. Wenn einen sogar Touristen auslachen, die selbst mitgefeiert haben, muss man wohl zerstört aussehen. Soldaten grinsen, nicken, einige schicken uns ein „Happy Holi“ hinterher.
Kurz bevor wie in die Nebenstraße einbiegen, die uns nach einigen Stunden der Ausgelassenheit zurück zu unserem Hotel führt, treffen wir drei kleine Kinder, die am Straßenrand stehen und ihre Farbbeutel in der Hand halten. Zurückhaltend, schüchtern, strahlen sie über das ganze Gesicht, als sie uns vorsichtig das pinke, rote und gelbe Pulver auf die Wangen auftragen. Ich berühre mit meinen Handinnenflächen behutsam ihr Gesicht und wünsche ihnen ein fröhliches Holi-Fest. Jede Zelle meines Körpers ist glücklich, als ich ihr Lächeln sehe. So sehr, dass ich mich noch einmal umdrehe und sie um ein Foto bitte.
Lachen verbindet – egal welche Sprache wir sprechen.
An Holi gibt es keine Unterschiede. Alle sind bunt, nass, sorglos. Gemeinsam.
Wenn doch immer nur eine Handvoll bunter Farbe ausreichen würde, damit die Menschen zusammenrücken.
…gedanklich ist ein großer Eimer Farbe zu Euch unterwegs… 😉
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Mein Highlight ist das blonde Weißbrot 🙂