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Und dann kam Kathmandu

Dienstag, 27. Februar 2018. Tag 1 ist vorbei – 48h lang und für immer in mein Gedächtnis gebrannt. Die eigenen Grenzen sind keine starren Konstrukte, sie existieren in unseren Köpfen und sind überraschend flexibel.

In dieser Stadt wird mir mehr als deutlich bewusst, dass wir ganz genau hinschauen müssen, um das Schöne zu erkennen. Und das versteckt sich selbst unter grauem, trockenem Staub, hinter Geröll, smogverhangener Luft und multispurigen (mehrspurig trifft es einfach nicht), unbefestigten Straßen. Nepal befindet sich noch immer im ständigen Kampf gegen die Folgen des starken Erdbebens, das das Land vor knapp drei Jahren tief getroffen hat. Der Tourismus kehrt seitdem langsam zurück. Hier in Kathmandu fragt man sich häufig, ob eine Ruine tatsächlich das ist, was sie zu sein scheint, oder ob sich hinter ihr vielleicht doch ein Ort verbirgt, der gerade zu neuem Leben erwacht.

Es ist so unglaublich schwierig sämtliche Eindrücke in Worten einzufangen. Die Beschreibungen werden der Realität nicht gerecht, wenn der Zauber fremder Kulturen über das hinausgeht, was der Verstand begreifen kann. Vor allem zu Beginn ist der Kopf randvoll – voll von nichts, da es schwierig ist, einen klaren Gedanken zu fassen. Alles strömt zeitgleich auf dich ein: Farben, Gerüche, Geräusche. Als wir nach unserer Ankunft in den in die Jahre gekommenen Minivan steigen und der Fahrer immer tiefer in die Verkehrsflut abtaucht, sind die Sinne absolut überfordert. Knatternde Motoren heranrauschender Roller, Hupen, ein dumpfes Grollen, ächzende Motoren, eine aufheulende Sirene  (vielleicht war es auch eine Gans). Entferntes Stimmengewirr vermischt sich mit dem Dunst, der in der Luft liegt. Und immer wieder ein gluckernder Motor, kurz bevor das Auto absäuft und der Fahrer einen Gang zurück schaltet. Gläubige in Tracht, Hühner auf der Straße, ein Mann, der palettenweise Ware auf seinem Kopf trägt, in der Hand weitere Tüten. Zwischenzeitlich verschwindet die Spur des Gegenverkehrs im dichten Gedränge gänzlich, um kurz darauf wieder aufzutauchen, als sich ein Bus unbeirrt seinen Weg bahnt. Jeder Zentimeter wird ausgenutzt, im letzten Moment ausgewichen. Alle finden ihren Weg auf den holprigen Straßen und die Sitze federn bei jedem Schlagloch ein wenig mehr.

Um Halt zu finden verlasse ich mich auf meine linke Hand, mit der ich den Griff oberhalb des Fensters fest umschließe – einen Sicherheitsgurt gibt es nicht. Die Komponenten sind prinzipiell vorhanden, doch auf meiner Seite fehlt der Gurt, auf Jules dafür der Verschluss. Die Kopfstützen sind Attrappen. Meine Gehirnfunktion bewegt sich konstant im unteren Bereich, der Schlafmangel macht sich bemerkbar und mir ist warm. Der Fahrer, zurückhaltend und zuvorkommend, gibt mir zu verstehen, dass ich das Fenster herunterkurbeln könne. Ich kurble also das Fenster herunter – und kurz darauf wieder nach oben. Die Momente, in denen sich aufgrund einer Geschwindigkeitserhöhung Fahrtwind entwickeln könnte, sind stark limitiert bis nicht vorhanden. Wir hoppeln Meter für Meter nach vorne. Das Einzige, das mein Gesicht streift, sind neugierige Blicke und die Rußpartikel in der Luft. Schlau, dass sich der ein oder andere Nepalese einen Mundschutz zugelegt hat. Ich entscheide mich dafür, alle Eindrücke aufzusaugen, anstatt innerlich zusammenzufallen.  Nach 22 Stunden ohne Schlaf kann man das nicht auch noch gebrauchen. Wo ich hinschauen soll weiß ich nicht. Meine Augen heften sich an ein Ereignis und springen zum Nächsten: der Hund, der schläfrig in der Sonne döst, der Rollerfahrer, der zum Seitenfenster hereinschaut, der Hindu in seinem ockergelben Gewand, die drückende, schwere Luft in meinem Nacken.

Hier kann man nicht anders, als im Moment zu sein – die Umgebung tut mit Erfolg alles dafür, die volle Aufmerksamkeit zu erlangen. Die Stadt scheint einem unsichtbaren System zu folgen, ihr Rhythmus ist unermüdlich, voller Energie und in sich ruhend zugleich. Der erste Atemzug brennt, das Kratzen im Hals begleitet jeden Schritt, während sich die Lunge mit einer Mischung aus Staub und Abgasen vollsaugt. Doch Nepal bringt mir bei hinzusehen und nicht der Tücke des ersten, von Überforderung geprägten Eindrucks zu erliegen.

Unsere Fahrt führt uns schließlich nach Thamel, dem Touristenviertel Kathmandus, wo es bunter wird. Ein Dach aus farbenfrohen dreieckigen Fahnen bekleidet die Straßenzüge. Schuttberge, aufgerissene Straßen, herabhängende Stromleitungen und tiefe Löcher gehören jedoch auch hier noch zum Stadtbild. Es herrscht reges Treiben. Waren werden angeliefert, LKWs abgeladen, Souvenirs angeboten, Menschen und Tiere von A nach B transportiert.

Selbst im Hotelzimmer sind wir mittendrin. Die dünnen Scheiben schirmen einen Teil der staubgetränkten Luft ab, nicht aber die Geräusche der Straße. In der Nacht sinken die Temperaturen von 21 auf 11 Grad und die kühle Luft kriecht durch die undichten Fenster. Die Unterkunft schaut nicht aus wie auf den Bildern, die wir vorab gesehen haben (natürlich nicht), aber sie wird in den nächsten Tagen trotzdem unsere kleine Parallelwelt sein, in die wir uns zurückziehen können, wenn wir eine Auszeit vom lebendigen Treiben vor der Haustüre brauchen. Sobald man ein wenig Schlaf nachgeholt hat, schaut man auch beim unsauberen Bad nicht mehr so genau hin. Die Seife, die einmal hinter die Toilette auf den Boden geflutscht ist, benutzt man trotzdem nicht mehr.

Dafür – und das sind die Erinnerungen, die man wirklich ins Herz schließt – umarmt einen die Gastfreundlichkeit dieses Landes. Das ist es, was das Verlassen der eigenen Komfortzone so wertvoll macht. Dir wird geholfen. Oftmals sogar dann, wenn du nicht darum bittest. Im Nachhinein stellt sich meist heraus, dass du dafür sehr dankbar sein kannst – eine nepalesische SIM-Karte freizuschalten ist nämlich doch nicht so einfach, wenn man kein Nepali beherrscht. Und während man im Shop ( = offene Räumlichkeit im Hinterhof, in der schnell noch zwei Stühle herbeigezogen werden) sitzt und wartet, bekommt man doch tatsächlich ein Werther’s Original angeboten. Gefolgt von überraschten Blicken, als sie herausfinden, dass wir aus Deutschland kommen und die Süßigkeit schon seit unserer Kindheit kennen. Da solle man doch lieber noch die taiwanesischen Kaubonbons probieren, das sei sowieso ein 1kg-Beutel, der so schnell nicht aufgebraucht wird.

Es sind wirklich die kleinen Gesten, die dich am Ende des Tages dankbar in deinen Seidenschlafsack kriechen lassen.

Wenn dann noch der Strom ausfällt, muss ich grinsen – und warte einfach, bis das Licht wieder angeht.

Es ist das Abenteuer wert.

10 Kommentare

  1. Micha Micha

    Auf solche Zeilen habe ich mich gefreut 😉

    LG aus dem kalten D

    • Laura Laura

      🐘♥

  2. Woooow, eigentlich unbeschreiblich und doch kannst du’s so gut in Worte fassen <3

    • Laura Laura

      Hihi, DANKE!😊 Ich geb mir Mühe euch teilhaben zu lassen! <3

  3. Das klingt doch nach einem wunderbaren Anfang für eure Reise! Ich freue mich drauf mehr Eindrücke von dir lesen zu können 🙂

    • Laura Laura

      So lieb! Es ist wundervoll ereignisreich und so anders und neu, dass ich bestimmt noch ganz viel berichten werde 😊

  4. Claudia Claudia

    Sehr schön geschrieben. Man fühlt sich, als wäre man dabei. Danke, dass du uns an deinen Gedanken und Gefühlen teilhaben lässt. Freuen uns auf weitere tolle und spannende Einträge.
    Liebe Grüße von deiner Family <3

    • Laura Laura

      Am liebsten hätte ich euch auch dabei 😙 Ich denke an euch! ♥

  5. Lena-Maria Lena-Maria

    Laura 😍 ich bin begeistert! Tolle Worte.

    Lg aus Deutschland

    • Laura Laura

      Danke, du Liebe! Das freut mich sehr ♥

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